Wenn du die Milz nicht mehr willst
Genre: Endzeit
Character: Dr. von Zess
Produkt: Skalpell MKII
Autor: Fatmanboom
Ob ich es bereue, Dr. von Zess getroffen zu haben? Ich weiß es nicht. Bereut der Kriegsversehrte die Infektion, die ihn gerade sein Bein kostet? Oder bereut er diesen verdammten Konflikt? Sinnlose Kämpfe um belanglose Grenzen in einer grenzenlos verstrahlten Einöde. Ein Söldner unter Söldnern, knietief im Blut von gesichtslosen, armen Wichten, die das Pech hatten, ihr Geld vom falschen Warlord zu beziehen. Gestern sie, heute ich. Heute ich.
Ich erinnere mich gut an den humpelnden Schatten, der uns über Wochen in den tiefen Spuren unserer Fahrzeuge verfolgte. Von Kampf zu Kampf, von Gemetzel zu Gemetzel. Immer auf Abstand. Immer vorsichtig. Eine tiefe Kapuze im Gesicht, einen grotesken Hut auf dem Kopf und einen schweren Koffer hinter sich her ziehend. Langsam, bestimmt, unnachgiebig. Kolanski hatte so sehr die Hosen voll, dass er geschossen hat. Ob er getroffen hat, weiß ich nicht. Wenige Tage später kotzte er plötzlich Blut und zwei Wochen darauf war es aus mit ihm, kurz nachdem ihm das halbe Gesicht weggefault war. Von da an hat sich keiner mehr getraut, auch nur ein Wort in die falsche Richtung zu flüstern. Brachte Unglück.
Der Schmerz kommt spät. Ich spüre die Kälte der Klinge lange vor dem Kreischen meiner Nervenbahnen, als sie glatt zertrennt werden. Ein Beweis, dass das Skalpell scharf ist. Seitdem das Labor der Chempunks nicht mehr da ist – nein, seitdem wir es abgefackelt haben – sind Betäubungsmittel ein Luxus. Ein Luxus, den ich nicht habe. Das einzige, was mir bleibt, sind Schreie, bis zum zerbröckeln aufeinander mahlende Zähne, stakkatoartige Atemzüge und ein Herz, dessen Schläge mir das Blut fast aus den Ohren pressen. Und über mir dieses Gesicht. Dieses ekstatische Lachen, das laszive Schlürfen, während er mit einem vergilbten Schlauch die Körpersäfte aus meinen frisch geschnittenen Wunden saugt.
Eines Morgens fanden wir den Fetzen einer Art Leder in unserem Lager, niemand hatte bemerkt, wie er dorthin gelangt war. Nicht die Nachtwache, nicht die Späher. Er lag plötzlich einfach so da. Auf ihm war in verwaschenen, gestempelten Buchstaben zu lesen:
Dr. Anton Balthasar Sigismund von Zess
Notfallmedizin, Chirurgie
Psychotherapie, Suchtberatung
An- und Verkauf
Das Stück Gewebe war fleckig und roch abstoßend. Die Truppe war sichtlich beunruhigt und der Captain befahl mir, diese makabre Visitenkarte sofort zu verbrennen. Doch die morbide Faszination, die von ihr ausging, hielt mich davon ab. Ich behielt sie, eingewickelt in alte Folie und verschlossen in einem Deckelglas. Ach, hätte ich sie doch nur sofort verbrannt.
Ich erinnere mich daran, wie wir verwundete Feinde absichtlich zurückließen. Zum Spaß, um zu sehen, was passiert. An das aufgeregte Gekicher in der Ferne. An die unerträgliche Neugier, die mich wach hielt, mehr noch als das verzweifelte Flehen und die gequälten Schreie in der Nacht. Bereue ich es? Ich weiß es nicht.
Ich bereue es, meine Panzerweste nicht angezogen zu haben, weil wir nur eine kurze Sache vorhatten. Eine kleine Siedlung. Einmal kurz rein, kein großes Aufsehen, ein paar Vorräte mitnehmen. Was sollte uns schon erwarten? Ein oder zwei Leute, die den Helden spielen? Kurz mit dem Knüppel drauf und wieder weg. Easy. Wie stehen schließlich die Chancen, mitten in ein Mutantenversteck zu stechen? Niedrig. Aber hoch genug.
Im einen Moment brachten wir noch unsere gepanzerten Fahrzeuge auf der leeren Hauptstraße der Siedlung zum Stehen, im nächsten ging ein Kugelhagel über uns nieder, der uns direkt die Hälfte unserer Leute kostete. Der Truck mit unseren Sachen explodierte in einer Feuersäule, die wie ein Dämon über uns hinweg fegte. Ich sah noch, wie ein riesiger Hüne mit seiner Kettensäge den kreischenden Captain zerlegte, dann traf mich etwas schweres, stumpfes direkt auf die Brust und schleuderte mich durch die Luft, hinein in eine alles verschlingende Dunkelheit.
So traf ich Dr. von Zess.
Eine Reihe feiner, spitzer Zähne, die mit undeutbarer Absicht auf mich hernieder grinst. Eingefallene Augen, ein unnatürlich fahles Gesicht und ein zotteliger, ungepflegter, schwarzverkrusteter Vollbart. Ein widerlicher, noch nie gewaschener Kittel, vollgesogen mit längst getrockneten Körperflüssigkeiten. Die Hände in schimmeligen, schwarzen Gummihandschuhen und darin ein scharf glänzendes Skalpell. Der Geruch von Eisen. Dazu zahnige Gurte, die mich unbarmherzig fest an eine harte, kalte Unterlage schnallen.
Er fragt mich, ob ich sein Kunde bin. Schon wieder. Eine Stimme, durchdringend und kratzend, wie ein rostiges Messer auf Knochen. Ich verneine. Zum vierten Mal, gepresst, zwischen unterdrückten Schreien. Ich habe nichts. Mein Sold war schon seit Monaten nur Dosenfraß. Mit dem Wenigen, was ich plündern konnte, als Bonus obendrauf. Er verzieht enttäuscht das Gesicht und schneidet weiter, immer weiter. Ich spüre, wie Teile von mir erschlaffen, die früher einmal etwas hielten, höre wie nasses, warmes Fleisch schmatzend herunter platscht. Nein, ich bin nicht sein Kunde.
Skalpell MKII
Was ab muss, muss ab. Mit dem Skalpell MKII operieren Sie wie ein Profi – natürlich nur zum Spaß. Oder gerade deswegen. Stilecht mit integrierter Blutpumpe.
Es fällt mir schwer, meinen Kopf gerade zu halten, der unsicher auf der glitschigen Oberfläche hin und her rutscht. Ich lasse ihn zur Seite sinken. Durch eine Tür sehe ich ins Nebenzimmer. Schwarzes, klebriges Blut benetzt die Dielen und einen Stuhl, auf dem vor einigen Minuten noch jemand saß. Der Hüne mit der Kettensäge saß dort. Der Hüne, dessen hornartige, Zentimeter lange Stacheln auf dem Rücken sich tief in meine Bauchhöhle gruben, kurz bevor er mich brutal von seiner Schulter aus auf diese Platte knallte. Etwa ein Dutzend genau dieser Stacheln liegt dort auf dem Boden. Chirurgisch entfernt, mit präzisen, fachkundigen Schnitten. Ein beinahe graziles Spektakel, das ich aus meiner vernebelten Trance heraus staunend betrachtete. Stück um Stück und beinahe zärtlich verwandelte Dr. von Zess dieses zackenbewehrte Ungetüm wieder in ein menschenähnliches Wesen, behandelte es mehr wie einen Menschen, als ich es verdiene. Wie seinen Kunden.
Eine schwere Übelkeit überkommt mich, als die Luft aus meinen Lungen gepresst wird, als meine Gedärme verschoben werden und gegen mein Zwerchfell drücken, während sich die zweite Hand des Doktors in meine Innereien wühlt. Die Hand mit dem Skalpell, die Hand die schneidet. Doch es tut kaum weh. Seltsam. Ich kann sie spüren, die Finger, wie sie tasten und suchen, schließlich finden. Wie ein scharfes Stechen das Gefundene befreit. Gleich einer Trophäe holt er etwas hervor, ein blutiges Stück Fleisch, das ich nicht erkenne, obwohl es mein Leben lang ein Teil von mir war. Ein Stück Fleisch, das nun ihm gehört.
Nein, ich bereue es nicht, Dr. von Zess getroffen zu haben. Ich bereue es, dass ich nicht sein Kunde sein darf.
Denn wer nicht sein Kunde ist, ist die Bezahlung.
Skalpell MK II
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